Der gedenk- und erinnerungskulturelle Kalender der Kooperation zwischen dem Herzogenrather Klösterchen unter Leitung von Herrn Wilfried Hammers und dem SGH erweitert sich stetig. So sind doch die Erinnerung und das Gedenken an Ereignisse und Entwicklungen aus der Vergangenheit eine mögliche, manchmal auch notwendige Referenz und eine mögliche Erklärung für gegenwärtige Entwicklungen in Zeitgeschichte, Politik, Kultur und Gesellschaft!
Bücherverbrennung
Am 10. Mai fungierte das Klösterchen erneut als Ausrichter und Bühne für eine solche Gedenk- und Erinnerungsveranstaltung. Wie gewohnt verstand es Wilfried Hammers, die Dringlichkeit des Wachhaltens der Erinnerung in seinen gewohnten Begrüßungsworten zu unterstreichen. Die Entwicklungen in Politik und Gesellschaft in Deutschland, Europa und der Welt veranlassten uns dazu. Mit den so genannten „Feuersprüchen“ („Wir übergeben dem Feuer die Schriften von…“) der Nationalsozialisten, stimmte Hammers dramatisch auf das historische Ereignis ein, als die Nazis, damals erst drei Monate an der Macht, die Schriften der oppositionellen und jüdischen Intelligenz zu vernichten suchten.
Als Vertreter für den Bereich Gesellschaft und Geschichte/ Politik des SGH unterstrich der Koordinator für Gesellschaft Christian Reiferth die faktische wie symbolische Bedeutung der Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933, die, wie er sagte, die im Zuge des Ausbaus Deutschland zur nationalsozialistischen Diktatur ein weiteres Mal das „wahre Gesicht“ der neuen Regierung um Hitler verdeutlichte. Reiferth kontextualisierte die Bücherverbrennung historisch inmitten erster Maßnahmen der Nationalsozialisten zur Abschaffung der Demokratie und in ihrem Vorgehen gegen Gegner des Systems, wozu natürlich die Gilde der Autoren galt, und er erläuterte, dass die „Ausgrenzung und Verfolgung Andersdenkender und -schreibender, die Vernichtung ihrer Werke und Existenzen“ Zeichen dafür waren, wie sehr die Nazis „das Wort fürchteten“. Dies, so der Redner, seien oft erste Schritte in der Radikalisierung von politischen Systemen: „Es ist meist das Wort, das in Diktaturen verboten wird, analog wie digital.“ Hoffend stimme ihn, dass die Nationalsozialisten es letztlich doch nicht geschafft haben, Kästner und viele weitere Autoren zu „verbrennen“.
Mit seinen Schülerinnen als Vertreterinnen des Schulorchesters sorgte Musikkollege und Kulturkoordinator des SGH, Herr Dr. Martin Eibach, für eine höchst professionelle und dem Anlass entsprechende musikalische Begleitung in mehreren Programmblöcken.
Ebenso dem Medium Musik verhaftet, trug Liedermacher Udo Schroll alias Udo S. eine Zahl seiner -er nannte sie vorsichtig- „Protestsongs“ vor, die in einzigartiger und eindrucksvoller Weise sprachlich wie inhaltlich, manchmal unmittelbar, manchmal mit einem Augenzwinkern, dem soziopolitischen Diskurs und Entwicklungen den Spiegel vorhielt.
Künstlerische Exponate, die die Symbolik der Bücherverbrennung aufnahmen als auch umkehrten, z.B. die Asche verbrannter Bücher in einer Regalinstallation, sowie großformatige Graffities u.a. von Kästners „Emil und die Detektive“ wurden von Kunstkollegin Frau Maxie Lühring und Schülerinnen und Schülern produziert und ausgestellt.
Die eindrucksvolle Lebens- und Leidensgeschichte durch die Nationalsozialisten Verfolgter wurde aus dem Blick eines Familienmitglieds bzw. einer Nachfahrin, Frau Waltraud Schings, im Gewand eines Zeitzeugenberichts dargeboten, der die Berichtende wie auch Gäste sichtlich rührte.
Frau Annette Schölzel und Frau Inge Bieseman stimmten dem literarisch-darbietenden Kanon bei.
Die iranische Autorin/ Dichterin Sanaz Zaresani bot ein eindrucksvolles Klagelied in Rezitation und Gesang dar, das durch eine multimediale Präsentation dramatisch untermalt wurde. Symbolisch war diese geprägt durch das Element Feuer.
Wie der 9. November, dem jährlich in Zusammenarbeit zwischen dem Klösterchen, unserem SGH, der Stadt Herzogenrath sowie dem Bündnis Gegen das Vergessen in einer Veranstaltung gedacht und erinnert wird, war auch die Veranstaltung anlässlich des Gedenkens der Bücherverbrennung von 1933 äußerst gut besucht.
Ein großer Dank gilt allen Besucherinnen und Besuchern sowie Beitragenden!
„Annes Kampf“. Eine szenische Darbietung im Klösterchen
Anne Frank ist weltbekannt. Nicht zuletzt wegen ihres Tagebuchs, das eindrucksvoll die Gedanken eines jungen Mädchens, das mit seiner Familie als deutsche Jüdin von Frankfurt über Aachen in die Niederlande flieht, gleichzeitig die Kriegsgeschehnisse in Europa aus ihrer Wahrnehmung heraus schildert. Es ist weiterhin ein Dokument ihres Heranwachsens im Versteck, ein eindrucksvolles Dokument ihrer Wünsche, Sehnsüchte und Ängste als junges, heranwachsendes Mädchen.
Die Familie Frank sieht sich nach der Flucht in die Niederlande auch dort, nachdem die Nazis die Niederlanden besetzen und ebenso rigoros gegen Juden vorgehen, gezwungen, ein Versteck zu beziehen, das Hinterhaus, wo sie schließlich mehr als zwei Jahre (!) verbringen werden (und leider doch gefasst werden).
Hitler betritt die politische Bühne Deutschlands aktiv in den Nachkriegsjahren des 1. Weltkriegs, den er als gebürtiger Österreicher auf Seiten des deutschen Heeres bestreitet. Im Jahre 1923, dem Jahr der ersten (nicht einzigen) Krise der Weimarer Republik, putscht er mit Gleichgesinnten, er greift nach der Macht, wird inhaftiert und schreibt „Mein Kampf. Eine Abrechnung“. Ab 1933 ist seine Partei, die NSDAP, auf legalem Wege an die Macht gelangt. Hitler wird innerhalb weniger Monate (!) die Nazidiktatur in Deutschland begründen, die systematische Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Kultur forcieren und den 2. Weltkrieg in alleiniger Verantwortung entfesseln.
Zwei Namen: Anne Frank, Adolf Hitler.
Zwei Werke: Das Tagebuch der Anne Frank. Mein Kampf.
„Annes Kampf“ im Klösterchen
Das Konzept mutet inhaltlich wie künstlerisch anspruchsvoll, ja, wagemutig an: Sich als Dramaturg bzw. Regisseur an das Tagebuch der Anne Frank und gleichzeitig an Hitlers Mein Kampf zu wagen und beide Werke zusammenzuführen.
In einer scharf geschnittenen Lesung ließen die Schauspielerin Marianne Blum als Anne Frank und Thomas Linke als Adolf Hitler in einem reduzierten Bühnenbild (Schreibtisch und Rednerpult) beide Texte, die beide auf ihre Weise Geschichte schrieben, aufeinanderprallen. Die clever gewählten Passagen beider Originaltexte wurden mit einer beeindruckenden Vortragsweise (Stimme, Betonung, Gestik und Mimik) dargeboten, spiegelten und ergänzten sich und ermöglichten Einblicke in die Gedankenwelt und daraus erwachsende Ideologie eines Adolf Hitlers, dessen in „Mein Kampf“ dargelegter Rassenwahn und Antisemitismus die Ausgrenzung, Verfolgung und planmäßige Vernichtung der europäischen Juden begründet, und einer Anne Frank, einem Mädchen im Unterschlupf, das ihre Weltsicht, ihre Ängste und Hoffnungen einem Tagebuch anvertraut und konkreten Bezug nimmt zu Hitlers Antisemitismus.
Schüler/ innen der Klassen 9B, 10E und einzelne Schülerinnen und Schüler der Sowi-Kurse der Jahrgangsstufe Q1 verfolgten am Donnerstag, 27.06.2024, im Soziokulturellen Klösterchen den eindrucksvollen und lebendigen Ausführungen der beiden genannten Schauspieler und erkannten die Aktualität beider Werke, die sich hier den Schlagabtausch lieferten. Parallelen zu aktuellen, völkischen sowie rassistischen Statements politischer Parteien und deren Politikerinnen und Politiker sind immer wieder erkennbar.
Was lösten die vorgetragenen Textpassagen aus dem Tagebuch von Anne Frank und dem "Werk" von Hitler letztlich aus?
Die Schülerinnen und Schüler hatten die tolle Möglichkeit, nach der Darbietung in den unmittelbaren Austausch mit den beiden Schauspielern zu gehen und formulierten ihre Emotionen und Assoziationen in Form einer Metaplantechnik, um anhand der ausformulierten Stichpunkte ihre Gedanken zum Ausdruck zu bringen unter Anleitung der neuen Kollegin und Referendarin Frau Alla Katanski.
Wir danken dem Klösterchen, speziell Herrn Wilfried Hammers, für das Akquirieren der beiden Schauspieler und ihrer konzeptionellen Lesung, die uns abermals vor Augen führte, welche Gestalt und Realität die Gedanken und Ansichten eines zum Zeitpunkt der Niederschrift weitestgehend unbedeutenden, gescheiterten Mannes (Hitler) annehmen konnten…und können!
Wir danken den Schauspielern Frau Blum und Herrn Linke für ihre eindrückliche Performance.
Wir danken den Schülergruppen der Klassen 9B, 10E, den Oberstufenschülerinnen und betreuenden Kolleginnen Frau Stark, Frau Ernst, Frau Rau und Frau Katanski.
Für die Organisation seitens der Schule und inhaltliche Hinführung zeichnete sich Herr Christian Reiferth verantwortlich, der als Koordinator für den Fachbereich Gesellschaft, im Schwerpunkt Gedenk- und Erinnerungskultur sowie Kooperationsveranstaltungen mit Externen und dem Klösterchen, die Verantwortung trägt.
(Christian Reiferth/ Ingrid Ernst)
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