Alle Jahre wieder, auch in diesem Jahr, ging es im Rahmen eines philosophischen Austauschs nach Serbien mit Herrn Becker, Frau Janßen und Aleksandra Dubar. Das Thema in diesem Jahr: Was ist Wahrheit? Kann Wahrheit definiert werden? Was sich jetzt erstmal nach einer langen, diskussionsreichen Philosophiestunde mit Herrn Becker in E 207 anhört, entpuppte sich als eine Art Ferienfreizeit. Über den Austausch wurde auch im serbischen Lokalfernsehen berichtet. Der Beitrag ist über den nachfolgenden link zu erreichen und beginnt im Stream ab ca. Minute 22:
Erste Eindrücke
In Belgrad am Flughafen angekommen, ging es mit dem Bus nach Zrenjanin in unsere Gaststadt. Davon abgesehen, dass wir alle unterschlafen waren, unterschied sich die Landschaft auch nicht allzu sehr von der in Deutschland; Trotzdem wirkte alles – gemessen an deutschen Verhältnissen - etwas heruntergekommener und unorganisierter, so wurden beispielsweise keine geraden Felder für die Landwirtschaft eingezogen und auf manchen schienen die Pflanzen einfach irgendwie zu wachsen. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Landwirtschaft in Serbien der größte Wirtschaftsfaktor ist.
In Zrenjanin regnete es. Mit unserem Gepäck im Schlepptau sind wir zur Gastschule gewatschelt, in der Schule selbst tummelten sich unsere Gastschüler*innen, während wir irgendwann zum Lehrerzimmer als unserem ersten Aufhaltort rekrutiert wurden. Warum wir nicht in ein leeres Klassenzimmer gingen? Auf diese Schule gehen so viele Schüler*innen, dass es zwei Schuletappen gibt, eine am Morgen, eine am Nachmittag. Zu jedem Halbjahr wechseln die Etappen für die Schüler*innen, an den Grundschulen passiert das sogar wöchentlich. Im Lehrerzimmer angekommen, wurden dort dann auch unsere Gastgeber*innen hinzugeholt und noch etwas schüchtern zueinander erledigten wir den Papierkram (ja, den gibt es in Serbien auch, selbst wenn er glücklicherweise nicht so ausufernd wie der deutsche ist). Während unseres Aufenthaltes im Lehrerzimmer und auch später, also in der Schule, auf der Straße, bei den Gastfamilien zu Hause, wirkte alles so, als wäre die Zeit um ein (oder ein paar?) Jahrzehnt(e) zurückgedreht worden. Hier und da gab es natürlich auch Modernes, aber im Allgemeinen schien alles etwas in die Jahre gekommen, was aber gar nicht im negativen Sinne gemeint ist. Auch die Gesetzmäßigkeiten und der Alltag wirkte veraltet: So durfte man in Cafés rauchen und Kinder waren weit nach Einbruch der Dunkelheit noch in Gruppen oder auf Traktoren zu sehen.
Aktivitäten
Am Samstag war Familientag, jede*r von uns verbrachte Zeit mit der Gastfamilie und lernte somit unweigerlich etwas von der serbischen Kultur kennen. So schlossen viele von uns Bekanntschaft mit dem sehr fleischhaltigem und üppigem Essen oder mit der typischen selbstgemachten Zitronenlimonade, welche auch in vielen Bäckereien angeboten wird.
Das Rathaus von Zrenjanin
Am Abend hatten sich einige der serbischen Gastschüler*innen in den Club verabredet (und die deutschen Gastschüler*innen kamen natürlich mit). Dort gab es keine Tanzfläche, nur Tische, für die man sich zuvor anmelden musste, die Musik ging größtenteils in die Rap-Richtung. Als Specialguest kam es kurz nach Mitternacht zu einem Auftritt einer serbischen Sängerin, nur war die Luft bei uns Deutschen schon deutlich raus - zumal die Augen vom Zigaretten- und Vaperauch etwas wehtaten.
Naturschutzgebiet Carska Bara und Belgrad
Am Sonntag ging es in die serbische Hauptstadt Belgrad; zuvor gab es jedoch noch einen kleinen Abstecher in das Naturschutzgebiet Carska Bara, wo wir auf Fähren verteilt über ein von Schilf umgebenes Gewässer zu einem Aussichtspunkt gefahren wurden. Dort wurde uns von einer Mitarbeiterin des Naturschutzgebiets Carska Bara erklärt, dass dort riesige Adler nisteten, in einem Nest mit einem Durchschnitt von 2 Metern, außerdem zählte sie einieg der vielen hundert Vogelarten auf – gesehen haben wir aber nur Schwäne.
Ein Schwan im Naturschutzgebiet Carska Bara
Daraufhin ging es dann aber wirklich nach Belgrad. Die Landeshauptstadt sah im Gegenteil zum Rest des Landes romanischer aus. Dort besuchten wir unter anderem das Museum Ivo Androvic - ein serbischer, wichtiger Schriftsteller - und anschließend den Tempel des Heiligen Sava, ein sehr prächtiges, pompöses, edles Bauwerk. Vor diesem hatten wir unseren ersten philosophischen Workshop, der aber eine weniger rege Beteiligung aufwies, als sich die Lehrkräfte vielleicht erhofft hatten. Nach einer kurzen Freizeit in der serbischen Hauptstadt ging es dann ins Theater. Gespielt wurde das Musical „Mamma Mia“. Und selbst wenn die Lieder und die Handlung auf serbisch waren, verstanden haben wir es trotzdem und die Liederauswahl war sehr ABBA geprägt.
Fußgängerzone in Belgrad
Philosophischer Austausch
Am Montag fand der erste „richtige“ philosophische Workshop statt; Ineinem Klassenzimmer diskutierten wir die Frage des Glaubens, kunterbunt in deutscher, englischer und serbischer Sprache. Diese Sprachenvielfalt und die Bedeutungsunterschiede der Begriffe sorgten hier und da für etwas Verwirrung, aber im Allgemeinen gab es u.a. folgende Ansätze:
der Glaube als Trost und als Balsam (vor der „bösen“ Realität);
die Erkenntnis, dass der eigene Glaube und Religion zwei unterschiedliche Gebiete sind: So kann der Glaube an etwas von einem selbst kommen, er muss aber nicht zwangsläufig an eine bestimmte Religion gebunden sein, wohingegen die Religion den Glauben vorgibt;
Glaube und Religion werden vor allem in weniger wohlhabenden Ländern praktiziert, da sie einen Anhaltspunkt, ein Streben haben: Da es den Menschen in den wohlhabenderen Ländern „zu gut“ geht und alles Errungene nicht auf einen Gott, sondern auf die Menschen zurückgeführt wird, gehen dort Glaube und Religion ein Stück weit verloren - und somit auch teilweise der Lebenssinn, aber das ist wieder ein anderes Thema …
Novi Sad
Am Dienstag ging es nach Novi Sad, der zweitgrößten Stadt in Serbiens. Zuvor machten wir jedoch erneut einen Abstecher an einen nahgelegenen Ort, wir besuchten nämlich das orthodoxe Kloster in Furska Gora. Die Anlage dort ist sehr gepflegt und hübsch, in der Kirche bekamen wir die frisch restaurierten Wand- und Deckenmalereinen zu Gesicht, der uns betreuende Mönch wirkte entgegen der stereotypischen Erwartung eines orthodoxen Mönches auf uns sehr besonnen, ausgeglichen und freundlich; die einzigen „radikaleren“ Aussagen traf er in den Bezug auf Smartphones, die seiner Ansicht nach „die Ausgeburt des Teufels“ seien.
Nach dem Abstecher ins Kloster fuhren wir an einen Aussichtspunkt kurz vor Novi Sad. Auf einer sonnigen Anhöhe, neben uns die Donau entlangfließend, hatten wir schließlich einen weiteren philosophischen Austausch. Thema war diesmal die Besprechung des Films „The Truham Show“, den wir am Tag zuvor geschaut hatten. Unsere Diskussionsfrage lautete: Was ist Wahrheit? Diese Frage blieb unbeantwortet - oder auch nicht: Da die Diskussion zunehmend auf serbisch geführt wurde, ließ sich das für mich nicht mehr entscheiden.
Die Donau bei Novi Sad
Und Novi Sad? Novi Sad selbst war die Stadt, die wir besuchten, die sehr gepflegt und sauber wirkte, auch wenn uns hier und da ein typisches Ostblockgebäude begegnete. In Novi Sad gingen viele von uns übrigens auch in ein Shoppingcenter.
Timisoara, Rumänien
Am Mittwoch ging es nach Timisoara in Rumänien, eine unglaublich schöne Stadt! Wenn man im Zentrum um eine Ecke biegt, kommt die nächste wunderschöne Ecke. Sehr empfehlenswert als Tagestripdestination, wenn man sich gerade in der Umgebung aufhält. Sogar der Zuweg zu einem wirklich sehr schönen edlen Shoppingcenter war wie eine Parkanlage gestaltet, mit Kiefern am Wegrand und leiser Jazzmusik aus Lautsprechern. Kleiner Minuspunkt: die Fassaden von wirklich sehr schönen Gebäuden sind teilweise mit riesigen Werbebannern verhangen; aber der Kapitalismus ist ja bekannt für seine subtile Ästhetikzerstörung.
Brunnen in Temeswar
Donnerstag: Ausklang in Zrenjanin
Der Donnerstag war nicht sonderlich aufregend. Nach dem Besuch der lokalen Zeitungsind wir in kleinen Gruppen durch das uns inzwischen bekanntere Zrenjanin gezogen und waren fast alle ziemlich durch von der aktivitätsreichen Woche, trotzdem streiften wir gegen Mitternacht immer noch durch die inzwischen dunklen Straßen, unterhielten uns und landeten schließlich in einem Park,wo wir bis etwa halb 2 blieben und die Woche mit Gesprächen und Fotos ausklingen ließen. Am Freitag mussten wir um vier Uhr aufstehen, um unseren Rückflug zu kriegen. Aber was jetzt erstmal nach Hektik klingt, entpuppte sich als leergefegter Nikola Tesla-Flughafen, übermüdet ging es schließlich zurück nach Deutschland.
Lehrerzimmer des Gymnasiums in Zrenjanin
Fazit
Rückblickend war der Serbienaustausch eine bereichernde und ereignisreiche Erfahrung. die Serben sind um einiges kontaktfreudiger und gastfreundlicher als die Deutschen - bis zu dem Punkt, wo es schon fast unangenehm wird. Trotzdem ist der Zusammenhalt untereinander und die ungezwungenere, lockere Art schon fast beneidenswert. Und auch wenn das Leitungswasser in dieser Region nicht das sauberste ist - sogar im kalten Zustand gibt es mysteriös wirkende Dämpfe ab, ist bräunlicher und riecht etwas faulig. Diese Kleinigkeit sollte niemanden aus unserer Schülerschaft davon abhalten, an diesem Austausch einmal oder zweimal teilzunehmen. ;)
Pauline Hirschhausen, EF
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