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  • AutorenbildEsther Kapusta

"Über das menschliche Gesicht" - Ein prämierter Essay von Esther Kapusta (Q2)


Hallo zusammen! Ich bin Esther aus der Q2. Wusstest ihr, dass es einen Essay-Wettbewerb des Landes NRW der Berkenkamp-Stiftung gibt? Ich auch nicht, bis zum Sommer diesen Jahres. Über meinen Deutsch-LK erfuhr ich davon. Als philosophie- und literaturinteressierte Person hatte ich Interesse, daran teilzunehmen und einen Essay zu verfassen. Zur Auswahl standen drei Zitate bzw. eine Fragestellung, über welche ich schreiben konnte; ich entschied mich für das Zitat Georg Christoph Lichtenbergs „Die unterhaltendste Fläche auf der Erde für uns ist die vom menschlichen Gesicht“

Die Auswahl war dieses Jahr zwar nicht hinreißend, und doch fand ich sehr viel Spaß daran, über das menschliche Gesicht zu schreiben; es ist ein wesenhafter Teil unserer Identität, wir assoziieren uns mit unserem Gesicht, haben beim Gedanken an andere ihr Gesicht vor Augen - es sagt viel über uns aus und doch hat man es sich nie ausgesucht. Tatsächlich hat mein Essay einen der zehn Gewinnerplätze eingenommen und ich durfte Ende Oktober sogar zu einem Literaturseminar nach Marbach, der Geburtsstadt Schillers, fahren. Vor allem das riesige, katakombenartige Literaturarchiv hat bei mir einen beachtlichen Eindruck hinterlassen. Ich bin sehr dankbar, dass einige Begabungen von Schülerinnen und Schülern in Deutschland gefördert werden und auch ich davon profitieren durfte.

Anbei mein Essay! Viel Vergnügen beim Mitdenken und Mitlesen.


„Die unterhaltendste Fläche auf der Erde für uns ist die vom menschlichen Gesicht“

-Georg Christoph Lichtenberg


Über die Zeit hat sich eine Art idealer Mensch, natürlich abhängig von den jeweiligen kulturellen Umständen - gehen wir hier von denen des Westens aus – gebildet. Er urteilt nicht, er ist souverän. Er ist unvoreingenommen, denn jeder ist gleich. Toleranz, Akzeptanz. Es sind Werte, die zu Idealen werden, nicht unbedingt gesellschaftlich, sondern in erster Linie ein Ideal, vor welches wir uns selbst stellen; um uns unsere Kompetenz und Menschlichkeit zu beweisen. Ich möchte hier keinesfalls in eine kritisierende oder gar negative Haltung verfallen; es ist gut und wichtig, dass wir Menschen an den genannten Aspekten arbeiten. Es ist bloß eine andere Seite, welche ich beleuchten will.

Wir Menschen scheinen oft das Tier, welches einen wesentlichen Teil von uns einnimmt, nicht gerne zu sehen. Gewiss verständlich – unser herausragendes Bewusstsein, Kompetenzen, die kein anderes Lebewesen so aufweisen kann wie wir, rationales Denken, all diese Dinge machen uns zum Menschen und beweisen unsere Exzellenz und präzise Selbstkontrolle. Wir sind keine Tiere und können folglich unsere Verhaltensweisen und Einflüsse regulieren, kontrollieren, nachvollziehen.. ist dem wirklich so?

Ich denke, oft vergessen wir, dass unsere Instinkte, unser Unterbewusstsein, gar die Einstellungen, die unserem humanen Wesen schon bei seiner Geburt programmiert sind, Glieder unserer Existenz darstellen, denen wir nicht entweichen können. Sie sind da, ohne dass wir uns für sie entschieden haben und doch bestimmen sie zum Teil unsere Verhaltensweisen, ja, fast wie bei einem Tier, welches den Gerüchen folgt, die ihm angenehm sind, ohne sich darüber bewusst zu sein. Und so mögen wir es, unser Selbst auf eine Weise darzustellen, welche unsere enorme Autonomie, Selbstbestimmtheit, Freiheit mit schönen bunten Lichtern beleuchtet und beschmückt. Zu zeigen, was uns zu dem revolutionären Wesen macht, was sich dem Tier so sehr unterscheidet und offensichtlich zu viel mehr fähig ist.

In Vergessenheit ist geraten, wie oft wir doch auf unsere Instinkte und Sinne angewiesen sind; nicht nur im Lichte des Überlebens, sondern auch in dem des menschlichen Austausches, in unseren Interaktionen und unserem Verhalten. Ich denke, es ist weniger verwerflich, als dieser Satz für viele zu klingen vermag, denn ich wage zu behaupten, dass dies in unserer Natur liegt. Wir schauen einen Menschen an und anfangs bleibt unser Blick beim Äußeren. Es erzählt uns viel und wir synthetisieren unser Urteil, unsere Meinung, unser Bild. Es ist ein wenig, als läse man ein Buch und notierte den Inhalt; die Wörter und das Blatt, auf dem sie gedruckt sind, scheinen so monoton und physisch, doch erzählen sie oft von bunten und lebendigen Farben. Ich denke, so ist es auch beim Menschen, er erzählt häufig, ohne den Mund öffnen zu müssen. Dabei spielt das Gesicht eindeutig eine der größten Rollen; allein die Augen sind es, welche in ihm liegen, die das erste sind, was wir anschauen, wenn wir unser Gegenüber wahrnehmen beziehungsweise betrachten.

Das Gesicht lässt sich wahrhaftig lesen und anhand seiner Äußerlichkeiten deuten, wie es auch andere Lehren, beispielsweise die des Händelesens bereits in ferner Vergangenheit im Laufe der Geschichte entwickelt und verbreitet haben. Die Physiognomik ist jedoch kein Thema, auf welches ich genauer eingehen werde, wenn ich nun von dem menschlichen Gesicht schreibe.

Das Gesicht einer Person, was genau stellt es für uns dar? Mein Gesicht, bin das ich? Genauso wie mein Name, beschreibt dieser mich nicht, sondern dient lediglich als eine Etikette für meine Existenz? Oder ist diese biologisch vorteilhafte Anordnung von Sinnesorganen nicht mehr als ebendiese? Erzählt es von Essenzen von Gemütern, Wahrheit und Wesen?

Ich sehe das Gesicht als eine Bühne, auf der wir das Selbst aufführen. Eine der Formen unseres körperlichen Ausdrucks, eine jenes, welcher dafür keine Aktivität erfordert, sondern offenbart und erklärt. Und erstaunlicherweise schwebt das Gesicht offensichtlich auf der grobstofflichen Ebene, die Nachrichten, die es vermittelt, gehen jedoch auf die feinstoffliche über. Angefangen auf der visuellen Ebene: wir erkennen eine Hautfarbe, Gesichtszüge und

-formen wie auch ihre Anordnung beziehungsweise Symmetrie oder Asymmetrie sowie Haar- und Augenfarben, die uns kulturelle Hintergründe erklären. Damit einher folgt eine subjektive Betrachtung und Bewertung: hässlich, schön, vielleicht bin ich Rassist und kategorisiere oder habe Vorlieben und favorisiere. Die Anatomie des Gesichts ist hier jedoch bei weitem nicht alles. Wenn wir nämlich keine Leiche sind und somit unser Gesicht in Aktion ist, nimmt es Formen und Ausdrücke an. Mimik und ferner auch Gestik kommunizieren nonverbal und stellen so eine zwischenmenschliche Verständigung dar; Sympathie oder Antipathie, Vertrauen und Misstrauen werden vermittelt. Dabei spielt es nicht einmal zwangsläufig eine Rolle, ob das in dem Moment vom Gesichtsinhaber Gesagte mit der Mimik und ihrer Aussage übereinstimmt, oder nicht. Das bedeutet, das Gesicht kann verraten, es ist nicht ganz unser und zeigt oft mehr, als wir wollen. Der Mentalismus erlaubt dieses Durchschauen mit ein wenig Übung und Erfahrung und so ist das Gesicht der meisten unter dem Blick eines Mentalisten eine direkte Aussage über den jetzigen Zustand dieser Person im Hinblick auf seine mentale Lage; ohne Rücksicht darauf, ob man diese persönlichen Informationen überhaupt zur Kenntnis geben will! Besonders zeigt unser Angesicht dann mehr, als wir wollen, wenn wir auf das Gegenteil streben.

Mit der bewussten Kontrolle dieses Ausdrucks repräsentieren und bewahren wir unsere Persona; das Gesicht zeigt Expression und zeigt Geschichte, kann lügen und verbergen und lernt durch leben, wie es sich zu zeigen hat und will. Unser Blick, unsere Stimme zeigen Nähe oder auch Distanz.

Dieser Aspekt hat meines Erachtens ebenfalls einen großen Einfluss in der Entwicklung des Menschen im Kindesalter. Man lernt das Lesen der Mimik seiner umgebenden Menschen und erstellt somit ein Erfassen von Grundlagen des Austausches mit anderen Individuen, Verständnis und Entzifferung von Zeichen, die dazu informieren. Ein Hilfsmittel zur Orientierung zwischen all den Menschen, denen wir tagtäglich begegnen und in Interaktion treten. Entnimmt man den vollen Zugriff auf das visuelle Verfügen anderer Gesichter, kann dies intensive Folgen mit sich tragen. Ein sehr aktuelles Beispiel sind die Masken, welche infolge der Corona-Pandemie verpflichtend in öffentlichen Räumen und teilweise auch darüber hinaus getragen werden müssen; mittlerweile seit einem Zeitraum von über zwei Jahren. In dieser Zeit ist die Fähigkeit zum Lesen der Mimik von Anderen, bedingt durch das Tragen der Maske und somit der Verdeckung des Mund- und Nasenbereiches, beeinträchtigt worden. Studien berichten ebenfalls von psychischen Symptomen wie Ängsten oder Stresserleben sowie Konzentrations- und Lernschwierigkeiten. Dies zeigt also sehr realitätsnah, wie wichtig das Gesicht anderer für uns Menschen ist.

Doch ist das Gesicht nicht bloß ein Träger von Bedeutung und Vermittlung, sondern auch eine Fläche für Unterhaltung; Kunst, Theater, die Maske – sie gehen mit der Entwicklung des Gesichtes einher. Die Bemalung des Gesichtes, beispielsweise, abgesehen von ihren weit zurück liegenden kulturellen Wurzeln, ermöglicht eine von Grund auf neue, temporäre Auffassung von dem Ich. Gesichtszüge lassen sich ändern, Fantasie nimmt ihren Lauf, Personä werden getauscht und eingenommen. Dies macht uns so Spaß, wie verkleiden es tut: wir haben die Möglichkeit, Facetten zu erproben, welche wir im Alltag zu wenig oder aus verschiedenen Gründen gar nicht ausleben können. Eben weil unser Gesicht, wie bereits erwähnt, unsere Schaufläche ist, unterhält es uns selbst enorm, verschiedene Formen und Ausdrücke anzunehmen. Unsere gewohnte Geschichte wird zu einer neuen und wir finden Spaß und Begeisterung an der Abwechslung. So ermöglicht auch das Theater eine nicht an den Schauspieler angebundene Rollenübernahme, der Schauspieler erzählt nicht von sich, sondern modifiziert sich auf solch eine Art, die ihn von der gewünschten Rolle erzählen lässt. Unsere Fantasie ist häufig die größte Unterhaltung liefernde Einheit und in solchen Formen nimmt sie ihren Lauf. Wir gehen in den Zirkus, um uns weinende Clowns anzuschauen und auch in Zeiten von Königen hatten diese auffällig bemalte und bekleidete Narren auf ihrem Hofe, zum Zwecke der Unterhaltung. Doch ich denke, es gibt noch weitere Gründe für die Größe der Unterhaltung, die wir ausgerechnet im Gesicht des Menschen finden.

Wie Sartre in seinem Theaterstück „Huis Clos“ deutlich macht, stellen die Menschen, mit denen wir in Kontakt treten, unser Kontaktkreis, ein Abbild von uns selbst dar. Durch sie können wir uns sehen und verstehen, wer wir sind, wer wir eigentlich sein wollen. Ohne den Kontrast der Liebe einer Person können wir den Zorn in uns oft nicht wahrhaben, ja, in unserer Selbsterkenntnis durch andere lassen sich gewiss dualistische Elemente finden. So sehen wir uns selbst also im Gesicht anderer. Ziehen wir nun einen weiteren Aspekt über den Menschen hinzu: in der Regel interessiert man sich viel mehr für einen selbst als für andere. Man redet gerne über sich, mag es, wenn man das Subjekt eines Gespräches ist und handelt generell natürlicherweise seinem und seltener dem Willen anderer nach. Wir stehen für uns selbst also meist an erster Stelle und wollen demnach viel von uns hören und wissen! Manchmal kann dies sogar zu einer Form von Besessenheit werden! Sehen wir uns selbst also in dem Gesicht anderer und sind wir von uns selbst im Normalfall stark angetan und unterhalten, schließt sich aus der Fläche des Gesichts eine große Form von Unterhaltung. Wir vergleichen und parallelisieren, stets mit unserem eigenen Gesicht und eigenem Interesse im Zusammenhang und finden durch den Anblick anderer viel über uns selbst heraus.

Wann immer wir in das Gesicht eines anderen blicken, sehen wir das gleiche, wie in unserem. Es verfügt über dieselben Glieder, Eigenschaften, Funktionen. Und doch ist es nicht ganz genau dasselbe, wir sehen, dass wir Menschen gleich, dennoch ausgesprochen anders sind.


Essay Esther Kapusta
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